Samstags-Interview im Berner Bund

vom 7. Juni .2003:

"Es wird Menschen geben,

die auf dem Mars geboren werden"

Interview: Rudolf Burger, Patrick Imhasly

«Bund»: Herr Stanek, gibt es Leben auf dem Mars?

Bruno Stanek: Sicher kein höheres Leben. In wenigen Jahren bis Jahrzehnten werden wir das ganz genau wissen.

Man meint doch aber, schon Spuren früheren Lebens gefunden zu haben.

Nie ernsthaft. Nur alte Zeugen von Wasser. Heute it es auf der Marsoberfläche sehr trocken und kalt, und das Wasser kocht wegen des geringen Drucks schon bei 0 Grad oder geht vom Eis direkt in den dampfförmigen Zustand über. Die riesigen Überschwemmungen deuten aber auf eine frühereAtmosphäre hin.

Wo ist dieses Wasser jetzt?

Zum Teil ins All entwichen, als Rost in der Oberfläche oder darunter als Eis. Auf dem Eis liegt der Staub von Millionen von Stürmen. Deshalb ist der Mars der rote Planet – wenn man die Oberfläche abkratzte, wäre sehr viel weiss darunter.

Das wäre also Eis.

Ja. Die neusten Marsmissionen sind von grösstem Interesse, weil sie das Vorhandensein von Wasser in riesigsten Mengen bestätigen könnten. Im Verhältnis zur Grösse gibt es dort mehr Wasser als auf der Erde, was eigentlich logisch ist – er ist ja weiter aussen im Sonnensystem und deshalb kälter.

Wieso ist es wichtig herauszufinden, ob es auf dem Mars Leben gibt oder jemals gegeben hat?

Das ist für die Biologie wichtig, für die Theologie und für jene, die den Mars einmal besiedeln wollen – man möchte die Beweise, falls es sie gibt, auch nicht zerstören: Bis zum Jahr 2039 will man absolut keinen irdischen Bazillus auf den Mars einschleusen. Die Raumkörper, die man bis jetzt auf den Mars brachte, wurden sterilisiert, damit die ersten Menschen, die auf den Mars kommen, nicht irdische Bakterien analysieren.

Wird man den Mars je permanent besiedeln?

Das ist nur eine Frage der Zeit. Man könnte in 20 Jahren anfangen. In 50 Jahren könnte man es mit Sicherheit tun. Und wenn wir es in 100 Jahren noch nicht gemacht haben, haben wir total versagt.

Was könnte Menschen motivieren, auf dem Mars leben zu wollen?

Vieles! Es wird einmal Menschen geben, die auf dem Mars geboren werden und dort bleiben wollen. Ihren Kindern wird man sagen: Wenn du nicht brav bist, schicke ich dich auf die Erde. Dort bist du dreimal schwerer. Auf den Mars zu gehen ist interessanter, als noch einmal 100 Jahre lang Kaffeerahmdeckeli zu sammeln...

Und dieses Motiv allein halten Sie für ausreichend?

Es ist auch nicht das einzige, aber ich stehe zu meinem Zynismus.

Die Vorstellung, dass man dereinst Reisen zum Mars macht, können wir nachvollziehen. Aber permanent auf dem Mars wohnen?

Es gibt viele Ort auf der Erde, wo man sich früher zu leben auch nicht vorstellen konnte. Im Gegensatz zum Mond verfügt der Mars genügend von allen chemischen Elementen: Stickstoff, Kohlenstoff und Wasserstoff. Man muss den Mars nur umbauen, dann hat man einen Garten Eden par excellence.


Nur liegt die Durchschnittstemperatur leider bei minus 60 Grad und der Sauerstoffgehalt liegt bei 0,13 Prozent. Wie sollen Menschen dort oben leben können?

Das kleinste Problem. Wo Wasser ist, kann man mit der Elektrolyse soviel Sauerstoff produzieren, wie sie wollen.

Dieser Sauerstoff verflüchtigt sich in der Mars-Atmosphäre sofort.

Nicht in einem Gebäude mit nach innen gekehrten Fassaden. Denken Sie an moderne Hotels: Da wird im Innern selbst in Alaska die Stimmung einer italienischen Piazza reproduziert. Genau so auf Mars! Man muss sich von der Vorstellung lösen, dass man sich im Freien bewegt. Man schafft sich einen Planeten, der uns das Leben bietet, das uns angenehm ist. Man muss sich vom planetarischen Chauvinismus mit Edelweiss und Alpenrose und blauem Himmel trennen.

Es gibt die Theorie, dass auf der Erde einmal Zustände herrschen könnten, die Leben verunmöglichen.

Wenn die Erde – was ich kurzfristig nicht glaube – in Probleme käme, bekäme ein früherer Vortragstitel von mir Bedeutung: Ein zweiter Planet ist die beste Lebensversicherung.

Vorerst geht es um drei Marsmissionen. Die europäische ist gestartet, die erste amerikanische soll morgen Sonntag losgehen, die zweite am 25. Juni. Bis heute sind rund ein Drittel der Marsmissionen gescheitert. Was macht sie so schwierig?

Die Zahlen ist nur deshalb so schlecht, weil die russischen Marsmissionen mitgezählt werden. Die haben die Statistiken verdorben.

Auch die beiden letzten US-Missionen 1999 «Mars Climate Orbiter» und«Mars Polar Lander» sind gescheitert.

Das ist ein Thema für sich. Man wollte diese Missionen so billig wie möglich machen und hat den Ingenieuren Geld weggenommen, man hat sie gezwungen, die Starts ohne jegliche Tests zu wagen. Deshalb sind diese Missionen schief gegangen. Die Sonden von 1997 und 2001 haben bestens funktioniert, aber man redet wieder nur von Misserfolgen.


Sind jetzt die Voraussetzungen gegeben, dass alle drei Missionen klappen könnten?

Amerika hat seit 1971 schon fünf Orbiter in die Marsumlaufbahn geschickt und drei Sonden sicher gelandet. Europa steht noch am Anfang. Von daher gesehen müsste man die europäische Mission als Experiment betrachten, für Amerika hingegen geht es eher um ein Anknüpfen an frühere Erfolge.

Ist es richtig, dass sich Amerikaner und Europäer konkurrenzieren?

Konkurrenzieren kann nur der Teil, der neu auf den Markt kommt, also Europa. Die Europäer wollen den USA zeigen, dass sie auch noch da sind. Das ist gut für das Selbstwusstsein der Europäer, die haben das nötig. Die Amerikaner haben fast allein das ganze Sonnensystem erforscht. Die stehen nicht unter gleichem Zugzwang.

Macht es auch wissenschaftlich Sinn, drei Missionen zu starten?

Ja insofern, als die Europäer andere Wege gewählt haben. Mir scheint, die Konkurrenz in diesem Fall ist konstruktiv, nicht destruktiv – zumal es ja auch Wissenschaftler, gibt, die auf der amerikanischen und europäischen Mission Instrumente haben und die europäische Sonde gar nicht viel gekostet hat.

150 Millionen Euro. Ist die europäische Mission nicht zu billig und zu schnell konzipiert worden?

Das wird sich zeigen. Wenn die europäische Mission nicht funktioniert, wird es sicher heissen, man hätte sich mehr Zeit lassen müssen. Europa hat riskiert, ohne Erfahrung mit einem früheren Orbiter gleich eine Marslandung zu versuchen.

Wann wird realistisch gesehen die erste bemannte Fahrt zum Mars starten?

Wie gesagt: In 20 Jahren könnte man, wenn man wollte.

Wie gross ist der Erkenntnisgewinn gegenüber den umbenannten Missionen, wenn der erste Mensch auf den Mars kommt?

Der ist bedeutend: Es geht ums Ende der irdischen Klaustrophobie. Die Biologie kommt weiter, die Chemie, Geophysik, Klimatologie, das Verständnis der ganzen Erde. Man kann auf dem Mars in vitro austesten, was auf der Erde in den nächsten Jahrhunderten kommen muss: Wasserstofftechnologie ohne Erdöl und Kohle.

Ist das nicht alles auch mit unbemannten Missionen zu klären?

Sehen Sie: Die Leute, die sagen, alles sei unbemannt auch möglich, sind die ersten, die bei unbemannten Missionen das Interesse verlieren. Viele Fernsehstationen werden erst richtig aktiv, wenn es eine bemannte Mission gibt.


Sicher? Wenn jetzt in sechs bis sieben Monaten die ersten Bilder herumfahrender Marsfahrzeuge auf der Erde ankommen, wird doch ein Riesentrubel herrschen.

Wenn schon die unbemannte Raumfahrt so spannend ist, dann ist es die bemannte erst recht: Das hat man schon beim Mond gesehen. Kein Mensch hat sich für die Sonden Luna oder Surveyor in dem Ausmass interessiert, wie nachher für Projekt Apollo. Der Mond wurde erst interessant, als man bemannt hinflog. Genau so verhält es sich beim Mars.


Es gibt Kritiker, die die Raumfahrt als Ganzes in Frage stellen.

Für jede noch so stupide Frage finden Sie jemanden, der sie stellt. Heute gibt es Leute, die in Frage stellen, ob jemals Menschen auf dem Mond gelandet sind. Die ersten, die den Amerikanern eine Täuschung hätten nachweisen können, waren die Russen. Ich habe mit russischen Kosmonauten darüber gesprochen, die haben nur gelacht über solche Zweifel.

Die Frage der wissenschaftlichen Relevanz darf man doch stellen, wenn so viel Geld verbuttert wird.

Denken Sie nur an die jüngste Entwicklung unserer Zivilisation. Die wäre ohne die Raumfahrt nie so rasch abgelaufen. Früher war der Krieg Vater aller Dinge, jetzt ist es die Raumfahrt.

Auch nach dem Columbia-Absturz?

Ich wiederhole: Der Columbia-Absturz ist auf das Versagen der NASA-Beamtenschaft zurückzuführen. Wenn Anomalien auftreten, ignoriert sie der Beamte, weil er nicht weiss, wie er ragieren soll und sparen will. Die Ingenieure wollten von Anfang an keine Beschädigung des Hitzeschilds tolerieren. Ich werde fuchsteufelswild, wenn man die Fachleute dauernd übergeht, sie am Schluss aber für schuldig erklärt.

Hätte die Columbia-Crew gerettet werden können, wenn auf die Beschädigung des Hitzeschilds beim Start reagiert worden wäre?

Glaubwürdig nicht. Um eine ganze Mannschaft im Weltraum abzuholen, fehlten die Mittel. Es wäre zu einem Rennen gegen die Zeit geworden.


Sie sagen: technologische Entwicklung dank Raumfahrt. Geht es etwas konkreter?

Laut Untersuchungen fliesst jeder in die Raumfahrt investierte Dollar oder Euro vierfach ins Bruttosozialprodukt zurück. Raumfahrt führt zu neuen Produkten. Beispiele sind Navigations- oder Kommunikationssatelliten. Ohne Übermittlungssatelliten könnten wir Schweizer seine Mails nicht in die ganze Welt hinausschicken. Nur durchachauen die Leute das nicht – vor allem unkundige Politiker nicht, die sich beliebt machen wollen, indem sie der Raumfahrt den Geldhahn zudrehen.


Was wäre der grösste Erfolg der laufenden Marsmissionen?

Dass das Verständnis für solche Missionen in immer weitere Kreise eindringt. Langfristig hängt unser Überleben vom ausserirdischen Imperativ ab. Eine Rückbesinnung ins Mittelalter – dafür gibt es auf unserem Planeten genügend Beispiele – führt in die Katastrophe.


Was kommt nach der Eroberung des Mars?

Um noch einmal eine "Terra" zu formen, kommt in unserem Sonnensystem z.B. der Saturnmond Titan in Frage. Seine Atmosphäre ist so dicht, dass man mit einer Sauerstoffmaske draussen herumspazieren könnte, ohne Druckanzug. Man könnte aber auch den Planetoidengürtel "umbauen". Auf künstlichen Welten könnten Tausende Male mehr Menschen leben als auf der Erde. Erst wenn man in Raumstationen im Sonnensystem während langer Zeit leben kann, ist der Moment erreicht, um zu anderen Sternen zu driften.



bur. Bruno Stanek, Jahrgang 1943, ist in Rorschach aufgewachsen. An der ETH Zürich doktorierte er im Fach Mathematik. In der ganzen Deutschschweiz bekannt wurde er insbesondere durch seine Fernsehkommentare zum Apollo-Mondprogramm in den Jahren 1968 bis 1973. Heute ist Stanek vor allem als freischaffender Publizist und als Unternehmer tätig: Er ist Gründer der Firma Astrosoftware, in der die beiden DVDs «Raumfahrtlexikon» und «Planetenlexikon» (für Windows 95..XP, Informationen auf http://www.stanek.ch), herausgekommen sind. Bruno Stanek ist verheiratet, Vater zweier Söhne und wohnt in Arth.

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